Siedlungskammer Flögeln
1971 begann im Landkreis Cuxhaven ein großes Forschungsprojekt des Niedersächsischen Instituts für historische Küstenforschung (Wilhelmshaven) auf der Geest im Raum Flögeln - Neuenwalde. Ziel war es, die Entwicklungsgeschichte einer Siedlungskammer im Elbe-Weser-Dreieck seit der Jungsteinzeit mit besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftsformen in Verbindung mit der Landschafts- und Klimageschichte zu untersuchen. Das Vorhaben wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft in einem Schwerpunktprogramm gefördert. 1986 waren die Untersuchungen im Gelände abgeschlossen.
Von Anfang an war das Projekt "interdisziplinär" angelegt. Den Fragestellungen gingen in enger Zusammenarbeit vor allem Archäologen, Archäobotaniker, Geografen, Historiker und Bodenkundler nach.
Die von Mooren umschlossene Geestinsel von Flögeln wurde ausgewählt, weil die Archäologische Landesaufnahme günstige Untersuchungsmöglichkeiten versprach. Vor allem aber sind hier auch kleine Moore, sogenannte Kesselmoore, vorhanden. Sie boten den Botanikern umfassende Arbeitsmöglichkeiten für ihre Analysen.
Archäobotanische Untersuchungen
Vor allem in den Mooren hat sich Blütenstaub (Pollen) erhalten. Diesen kann der Botaniker nach Pflanzengattungen bzw. -arten bestimmen. Die Analyse der Pollenzusammensetzungen aus einem Profil eines im Laufe der Jahrtausende aufgewachsenen Hochmoores zeigt die Entwicklung und Veränderung der Vegetationszusammensetzung. Somit spiegeln die erarbeiteten Pollendiagramme die Entwicklung von Pflanzengesellschaften unter dem Einfluss des Menschen und folglich die Siedlungstätigkeit und Wirtschaftsweise in einer Landschaft wider.
Insgesamt 13 Moorprofile wurden während des Forschungsprogrammes im Bereich der Siedlungskammer Flögeln untersucht. Die Ergebnisse lassen wichtige Aufschlüsse über die Siedlungstätigkeit und Wirtschaftsweise zu. Außerdem sind Aussagen über die unterschiedlichen Siedlungsaktivitäten auf den Teilbereichen der Siedlungskammer in den verschiedenen Zeitabschnitten möglich.
Während in der Marsch, wie zum Beispiel auf der Feddersen Wierde, organisches Material - wie Pflanzensamen und Knochen - sehr gut erhalten ist, sind Kulturpflanzenreste im durchlüfteten Sandboden, z. B. in Flögeln, nur in verkohltem Zustand zu finden.
Durch Ausschlämmen der Grubeninhalte sind u. a. Gerste, Roggen (ab 4./ 5. Jh.), Saathafer und Lein zutage gekommen.
Die ersten Bauern
Die pollenanalytischen Untersuchungen bei Flögeln haben gezeigt, dass die erste bäuerliche Bevölkerung um 4 000 v. Chr. vor allem im Westen der Siedlungskammer lebte. In bescheidenem Umfang wurde Getreide angebaut, das Vieh wahrscheinlich in kleineren umzäunten Bereichen gehalten und mit dem Laub von Ulme, Esche und Linde gefüttert. Der Wald war noch nicht erschlossen. Aus dieser Zeit fehlt noch jeder archäologische Fund.
Ab 3 100 v. Chr. wird der Wald sehr stark aufgelichtet und der Getreideanbau erkennbar intensiviert. Hauptanbaupflanzen sind Gerste und Emmer. Die Viehhaltung fand jetzt im Walde statt.
Während der groß angelegten Ausgrabungen auf dem Eekhöltjen gelang es, außer einem Großsteingrab und Flachgräbern dieser Zeit, auch die Grundrisse von zwei Langhäusern, den Wohnhäusern jeweils einer Familie, und einem Grubenhaus, wohl ein Kultbau, auszugraben. Sie sind Zeugnisse für die Siedlungsweise mit weit verstreut liegenden Einzelhöfen, die jeweils nach wenigen Jahrzehnten an anderer Stelle neu errichtet wurden. Die keramischen Funde lassen sich in die Zeit der sog. Trichterbecherkultur einordnen, d. h. etwa im 3. Jt. v. Chr.
Großsteingräber
Die erhaltenen archäologischen Denkmale, vor allem Großsteingräber, aber auch die Pollenanalyse haben gezeigt, dass während der zweiten jungsteinzeitlichen Phase fast die gesamte Geestinsel von Flögeln besiedelt war.
Die Großsteingräber der Trichterbecherkultur gehören zu den eindrucksvollsten Denkmalen der Vorgeschichte im gesamten Elbe-Weser-Dreieck. Zwei derartige Kammern sind auf der Geestinsel von Flögeln nahe der Ortschaft Fickmühlen sehr gut erhalten und durch einen Vorgeschichtspfad erschlossen.
Gehöft der jüngeren Bronzezeit
Auch für die jüngere Bronzezeit wurde eine Siedlungsform mit weit verstreut liegenden Einzelhöfen nachgewiesen. In den Grabungsflächen auf dem Eekhöltjen fanden sich auch aus der Bronzezeit Siedlungsspuren in deutlicher Entfernung voneinander. Aus der jüngeren Bronzezeit konnten die Fundamentspuren eines Hauptgebäudes ausgegraben werden. Daneben fanden sich die Bodenspuren von Nebengebäuden, Speichern o. ä. Das Gehöft hat längere Zeit an dieser Stelle gestanden, ehe es in größerem Abstand neu errichtet wurde.
Die Pollenanalysen haben gezeigt, dass Pflanzen, die Siedlungen anzeigen, während der Bronzezeit in den Diagrammen deutlich geringer vertreten sind als in der Jungsteinzeit. Die in der Archäologischen Landesaufnahme anhand von Grabhügeln und Siedlungsstellen nachgewiesene Siedlungstätigkeit dieser Zeit hat demnach offensichtlich weit geringer in die Landschaft eingegriffen als dies während anderer Zeiten geschah. Ein Grund dafür war, dass jetzt das Vieh im Winter aufgestallt war.
Besiedlung im 1. - 6. Jh. n. Chr.
Bereits die Archäologische Landesaufnahme zeigte für die Geestinsel von Flögeln, dass in den drei nördlichen Teilbereichen Siedlungen und Gräberfelder zu lokalisieren sind. Die das Forschungsprojekt begleitenden Prospektionen zeigten außerdem, dass Teile der Ackerflur, die bis in das 1. Jh. n. Chr. genutzt wurden, im Gelände noch heute erkennbar sind.
Die pollenanalytischen Untersuchungen ließen wiederum Bereiche unterschiedlicher Nutzungsintensität erkennen.
Auf der Halbinsel Eekhöltjen wurden zwischen 1971 und 1985 mehr als 11 ha Fläche aufgedeckt und archäologisch untersucht. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass die kontinuierliche Besiedlung in der Mitte des 1. Jh. v. Chr. beginnt. Bis zum 2. Jh. n. Chr. ist kennzeichnend, dass Einzelhöfe innerhalb und am Rande der Ackerflur errichtet und nach wenigen Jahrzehnten an einem anderen Platz neu gebaut wurden.
Siedlungsstruktur im 2. und 3. Jh. n. Chr.
Die im 1. Jh. n. Chr. einsetzende Verlagerung von Höfen auf das Eekhöltjen führt hier im 2. Jh. zu einer geschlossenen Dorfanlage. Sieben oder acht Hofbereiche sind gegeneinander und nach außen mit Zäunen begrenzt. Sie bedecken eine Fläche von rund 2,3 ha.
In ihrer Größe weichen die Hofplätze stark voneinander ab. Neben kleinen Gehöften mit nur einem Wohn-Stallhaus und einem oder wenigen Grubenhäusern gab es große Gehöfte mit bis zu vier oder fünf Langhäusern. Zu diesen gehörten Grubenhäuser, Speicher, Brunnen und andere Bauten.
Man bezeichnet diese Vereinigung mehrerer Betriebe als "Mehrbetriebsgehöfte". Möglicherweise sind Großfamilien die Grundlage solcher Wirtschaftsverbände.
Das Ende der Besiedlung im 6. Jh. n. Chr.
Das geschlossene Dorf wird nach einer Siedlungsdauer von rund 200 Jahren wieder aufgelöst. Ab dem 4. Jh. sind zwei Siedlungssysteme nebeneinander auszumachen. Im Westen handelt es sich um eine nord-süd-gerichtete Gehöftzeile aus drei Höfen. Nach Osten und Nordosten schließen sich einzelne Höfe an, die offenbar nicht mehr umzäunt waren. Auch wenn die Besiedlung nicht mehr so kompakt ist wie noch im 2./ 3. Jh., kann immer noch von einem Dorf gesprochen werden.
Ab der Mitte des 5. Jh. wird die Gesamtbesiedlung an den Westrand der Halbinsel Eekhöltjen verlagert. Hier formt sich noch einmal ein zusammenhängendes Dorf. Dieses wird während des 6. Jh. aufgegeben.
Besiedlung im Mittelalter
Bis zum Beginn des Forschungsprojektes bei Flögeln beruhte die Kenntnis des frühen Mittelalters vor allem auf Grabfunden. Die Untersuchungen des Niedersächsischen Instituts für historische Küstenforschung (Wilhelmshaven) auf der Siedlungskammer Flögeln haben erstmals und in großem Umfang Einblicke in Ansiedlungen des frühen bis hohen Mittelalters gegeben. So gelang der Nachweis, dass die Ursprünge des heutigen Dorfes Flögeln im 7. oder 8. Jh. zu suchen sind.
Mit rund 2 ha großen Grabungsflächen gelang es im Westen der Siedlungskammer rund 3/4 eines Dorfes zu untersuchen, das in Urkunden des 14. Jh. "Dalem" genannt wird. Dieses Dorf bestand seit dem 7. Jh. Nach der Aufgabe der Siedlung blieb der Name als Flurbezeichnung bis heute erhalten.